Interview 1 2019/2020
Bereitet den Weg
Mitte Dezember startet der Konzertzyklus mit dem ersten Konzert in der katholischen Kirche Henau. Die beiden Katholischen Kirchenchöre – Henau und Oberuzwil – werden uns unter der Leitung von Esther Wild Bislin, zusätzlich mit Solisten und einem Instrumentalensemble, die Adventszeit verzaubern. Die Adventskantate «Bereitet den Weg» stammt aus der Feder von Monika Rösinger (Text) und Roman Bislin-Wild (Komposition). Der Konzertzyklus Uzwil hat die drei getroffen, um etwas über die Entstehung zu erfahren.
Konzertzyklus: Liebe Esther, lieber Roman, liebe Monika – die Adventszeit beginnt bald, und euer Konzert steht vor der Tür! Als ich euer Programm erblickte, sagte ich mir: So peinlich; was ist denn eine Kantate …? Ihr drei seid Experten in eurem Fach. Wie würdet ihr diese Adventskantate erklären?
Roman Bislin-Wild: Die Kantate ist eine alte Musikform. Eine Geschichte wird musikalisch von verschiedenen Sprechern und Sängern erzählt. Dies passt ideal zur Advents- und Weihnachtsgeschichte. Eine Kantate ist nicht dramatisch wie eine Oper, sondern eine ruhige Erzählung. Daher ist die Kantate eine sehr passende Form. Ich schreibe nicht die klassische Form einer Kantate, wie es J.S. Bach getan hat, sondern ich interpretiere sie neu. So, wie auch Monika Rösinger die alten Texte neu interpretiert hat.
Bei unserer Kantate singt der Chor nicht nur die «Choräle», sondern auch andere wichtige Themen. Dann gibt es die Solisten, die die Geschichte erzählen: Ein Rezitativ, eine erzählende Form. Zusätzlich singen die Solisten die schönen Arien. Meine Absicht ist, die Gesangsformen zu verteilen: Nebst den Solisten werden auch die Chöre sprechgesangartige, erzählende Stellen übernehmen. Wenn die Könige und Kaiser einmarschieren, wird das auch durch den Chor sehr dramatisch ausgedrückt. Zusammen mit den Solisten singt der Chor auch Arien.
Konzertzyklus: Es ist somit nicht nur die Tonalität und Sprache, die an die heutige Zeit angepasst wurde. Sondern auch die Aufgaben der einzelnen Mitwirkenden?
Roman Bislin-Wild: Ja, genau. Einerseits sind die Aufgaben, verglichen mit der traditionellen Kantate, etwas demokratischer verteilt, anderseits ist auch der Musikstil neu und für den Chor gut singbar. Es sind eher klassische Chorsätze, verknüpft mit neuen Harmonien auch von Seite der Begleitung, mit populärer Musik, Jazz-, Musical-, Gospelelementen und irischer Volksmusik.
Konzertzyklus: Wie muss man sich den Beginn eines neuen Werkes vorstellen?
Roman Bislin-Wild: Meistens ist es Esther, als Chorleiterin, die sagt: «Wir brauchen etwas Neues. Vielleicht lassen wir das Esther beschreiben, wie es bei diesem Werk war?»
Esther Wild Bislin: Ich wünschte mir neue Chormusik für die Advents- und Weihnachtszeit. Mit nicht allzu «süssen» Texten. Es gibt ja sehr viel Literatur für diese Jahreszeit, aber dabei handelt es sich meist um dieselben, alten Texte, die immer wieder neu vertont oder arrangiert wurden und werden. Ich wollte nicht nur eine neue Vertonung, sondern auch neue, zeitgemässe Texte. Mit diesem Wunsch habe ich mich an Monika als Texterin und an Roman für die Komposition gewendet. Das war 2010. Und so kam es zur ersten Zusammenarbeit mit Monika Rösinger.
Konzertzyklus: Monika, vielen bist du eher als Autorin von «Novembereis» und Kolumnen in den Toggenburger Nachrichten bekannt, denn als Texterin für Chorlieder. Dabei geht vergessen: du schreibst ja sehr unterschiedliche Texte. Was waren deine Gedanken beim Texten dieser Kantate?
Monika Rösinger: Man versucht, biblische, religiöse Inhalte für die heutigen Menschen zu erschliessen. Man mag die schönen Weihnachtslieder gerne, aber für viele sind diese schlicht nicht mehr verständlich. Sie können mit diesen Texten wenig bis nichts anfangen. Ich denke, wenn man biblische Texte in die heutige Sprache, in die heutige Lebenswirklichkeit stellt, werden sie verständlich.
Konzertzyklus: Wie war der Austausch zwischen euch dreien? Wie müssen wir uns das vorstellen?
Esther Wild Bislin: Ich kann mich erinnern, dass ich sehr viele liturgische Texte der Advents- und Weihnachtszeit zusammengesucht habe. Diese Sammlung reichte ich an Monika weiter. Das Werk sollte ja nicht nur «popig» sein, sondern auch die Tiefe des Weihnachtsgeschehens enthalten.
Monika Rösinger: Es ist mir wichtig, dass die Urbotschaft der Advents- und Weihnachtszeit im Text enthalten ist. In vielen modernen Liedern entfällt die Weihnachtsbotschaft. Das finde ich schade.
Esther Wild Bislin: Von Anfang an wussten wir, für wen das Werk sein soll: für gemischten Chor mit zwei Solisten. Die Besetzung der Instrumentalisten war ebenfalls bereits zu Beginn klar. Auch das gemeinsame Singen bekannter Advents- und Weihnachtslieder war uns wichtig. Die Konzertbesuchenden sollen aktiv miteinbezogen werden können.
Konzertzyklus: Entstand zuerst die Komposition, die Melodie, oder der Text? Oder bildeten einzelne Stichworte die Basis für die Komposition?
Roman Bislin-Wild: Ich erhielt von Monika eine vollständige Textvorlage, mit der Erlaubnis für Umformulierungen oder Änderungen. Im Prinzip ein Libretto, wie bei einer Oper. Dieses darf ich dann in Musik umsetzen. So arbeite ich auch am liebsten. Die grosse Vielfalt der Möglichkeiten ist damit bereits etwas kanalisiert; die Emotionen in den unterschiedlichen Abschnitten sind schon klar.
Konzertzyklus: Während der Entwicklung. Singt zwischendurch jemand das Stück probeweise? Oder wird erst gesungen, wenn das Werk fertigkomponiert ist?
Roman Bislin-Wild: Die Regel ist, dass die Komposition fertiggestellt wird. Diese wird dann einstudiert, und dann schlussendlich aufgeführt. Es kommt vor, dass ich es Esther vorspiele; und dabei Verbesserungsmöglichkeiten erkenne. Aber das ist selten der Fall. Ich weiss ja schon zu Beginn, welcher Chor es singt; die Solisten sind mir auch bekannt. Ich weiss somit, welche Schwierigkeiten sie zu meistern bereit sind. Daher kann ich sehr genau auf diese Gegebenheiten eingehen.
Konzertzyklus: Was macht diese Adventskantate und deren Aufführung besonders?
Roman Bislin-Wild: Was ich wichtig und spannend finde, ist folgendes. Die Beteiligung der Chorsänger*innen ist intensiver, da sie die beteiligten Autoren und Komponisten persönlich kennen; nicht nur den Namen, sondern auch den Menschen kennen.
Monika Rösinger: Es ist der regionale Charakter, der einiges ausmacht. Und die Emotionalität der Weihnachtsgeschichte.
Esther Wild Bislin: Es ist nicht nur ein Werk, das die Chorsänger*innen einstudieren müssen oder sollen, sondern es wird zur ihrer eigenen Musik. Das ist phantastisch und beflügelt sehr. Insbesondere das Singen von Werken, die speziell für diese zwei Chöre entstanden sind. Dieses Bewusstsein spornt alle an.
Konzertzyklus: Es wird beim Proben bereits eine sehr besondere Atmosphäre geschaffen, nicht wahr? Ich vergleiche es mit meinem Umfeld. Alle scheinen das Yoga zu nutzen, um das Bedürfnis nach Spiritualität zu stillen und ihre Alltagssorgen vergessen zu können.
Roman Bislin-Wild: Wenn ich die Texte vor mir habe, die mir viel bedeuten, und ich sie in Musik umsetze, ist das ein sehr starker und spiritueller Prozess. Durch die Musik die Emotionalität und Spiritualität weiterzugeben, da entsteht sehr viel. Es entsteht eine neue Ebene, es packt uns stärker. Was ja auch mein Ziel ist. Ich möchte mit meiner Musik die Menschen berühren. Ich komponiere, wie es für mich stimmt, wie es meiner musikalischen Vorstellung entspricht. Und ich freue mich natürlich sehr, wenn es dann auch funktioniert, wenn ich damit die Menschen wirklich erreichen kann.
Monika Rösinger: Für mich ist es ein wunderbares Erlebnis, was sich aus meinem Text durch Romans Arbeit entwickelt. Es wird etwas ganz Anderes, etwas Neues. Mir ist es auch wichtig, dass Roman die Freiheit hat, den Text abzuändern, Worte wegzulassen oder zu wiederholen. Dadurch kann sich das Werk nochmals verbessern.
Konzertzyklus: Kurz möchte ich auch den Nachwuchs ansprechen. Wie ist es mit Chormitgliedern im Alter zwischen 16 und 30?
Esther Wild Bislin: Ab und an haben wir Jugendliche, die zwei, drei Jahre im Kirchenchor mitsingen oder für Projekte hinzukommen und danach weiterziehen. Die Realität zeigt, dass Menschen um 40 sich eher für ein regelmässiges Singen im Chor begeistern lassen. In dieser Lebensphase wird man sesshafter, hat vielleicht eine Familie gegründet und beruflich schon einiges erreicht. Dann hat man auch eher Zeit für einen Chor. Ich mache oft Projekte mit Familien und Kindern, damit es Berührungspunkte gibt. Damit man merkt, Kirchenmusik – in ihrer ganzen Vielfältigkeit – ist gar nicht so verstaubt. Aktuelle Kirchenmusik mit zeitgemässen Texten können uns auch heute noch ansprechen.
Konzertzyklus: Esther, was rätst du einer 40-jährigen Person, die am Mitsingen in einem Kirchenchor interessiert ist? Wie soll sie starten? Muss sie zuerst Gesangsunterricht besuchen?
Esther Wild Bislin: Einfach in den Chor kommen! Ich mache oft Projekte, bei denen wir den Chor öffnen und Gäste zum Mitsingen auf Zeit einladen. So kann das Chorsingen miterlebt werden. Einige kommen immer wieder für ein Chorprojekt, andere bleiben gar im Chor.
Konzertzyklus: Roman, du unterrichtest auch Schüler?
Roman Bislin-Wild: Ja, ich gebe Klavierunterricht.
Konzertzyklus: Aber nicht im Komponieren. Aber wäre das etwas, das du dir vorstellen könntest?
Roman Bislin-Wild: Ja, sehr gerne. Es gibt immer wieder Schüler, die so weit sind und Kompositionsversuche unternehmen, oder eigene Begleitungen und Variationen zu Liedern erstellen. Das ist sehr schön.
Aber auch das Arrangieren ist wichtig, die Vorstufe des Komponierens. Wenn man eine Melodie bereits vor sich hat, und dann für ein bestimmtes Ensemble die Stimmen für die einzelnen Instrumente schreibt. Das unterrichte ich offiziell an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen.
Konzertzyklus: Gibt es etwas, dass ihr euch für die musikalische Grundbildung auf Primarstufe wünscht? Was müsste unbedingt enthalten sein?
Roman Bislin-Wild: Es müsste einfach «mehr» sein! Von mir aus täglich eine Lektion Musik.
Esther Wild Bislin: Und dann auch etwas vielseitiger.
Roman Bislin-Wild: Es steht ja ausser Frage, dass mehr musische Fächer förderlich sind für die schulische Leistung. Es gibt genügend Studien dazu. Man müsste dies einfach auch umsetzen.
Monika Rösinger: Der Trend geht leider in die andere Richtung; die musischen Fächer sind doch ordentlich beschnitten worden.
Roman Bislin-Wild: Ja leider. So wie ich die Ausbildung in St.Gallen kennen gelernt habe, ist diese wirklich gut. Die Absolventen können sehr viel im musikalischen Bereich. Das Potential wäre da.
Konzertzyklus: Ihr seid zuversichtlich? Die Leidenschaft für Kirchenchöre wird auch in der nächsten Generation weiterleben?
Roman Bislin-Wild: Zwei Sachen. Einerseits die Leidenschaft für die Musik und andererseits die Suche nach der Spiritualität. Musik ist der ideale Verknüpfungspunkt von Wort und Geheimnis. Daher bin ich sehr zuversichtlich. In welcher kirchlichen oder musikalischen Form das dann stattfindet, bleibt offen.
Esther Wild Bislin: Es muss auch nicht so bleiben. Denn alles was gleich bleiben soll, verliert an Lebendigkeit und wird starr. Es soll vielmehr ein Boden gebildet werden, auf dem Neues wachsen kann.
Roman Bislin-Wild: Da tragen wir schon etwas dazu bei, zu einer lebendigen Kirche. Das möchten wir auch.
Konzertzyklus: Wie häufig haben die Chöre auf das bevorstehende Konzert geübt?
Esther Wild Bislin: Als Kirchenchor hat man diverse Einsätze im Jahr: all die grossen Festtage und weitere Gottesdienste, Feiern und Anlässe. Man kann nicht so genau sagen zwischen Februar und Mai proben wir die Lieder «xyz». Sondern diese werden über längere Zeit immer wieder in die Proben eingebaut. Für das bevorstehende Adventskonzert habe ich erste Lieder bereits vor den Sommerferien in die Proben einfliessen lassen. Ende Oktober wurde das Üben an dieser Literatur intensiviert. Seither arbeiten wir jede Woche an diesen Werken und treffen uns auch zu einer Intensivprobe an einem Samstag im November. Mit dem Instrumental-Ensemble und den Solisten probe ich getrennt, bevor sich alle Beteiligten zur gemeinsamen Hauptprobe treffen. Die Übungszeit soll angemessen, aber nicht zu ausgiebig sein. Die Spannung und Vorfreude aufs Konzert muss unbedingt erhalten bleibt.
Konzertzyklus: Ich vermute auch, ihr habt bereits eine neue Idee im Kopf. Möchtet ihr etwas darüber verraten?
Esther Wild Bislin: Ja, klar! Neugetextete Psalmen von Monika Rösinger und Cecilia Hess-Lombriser liegen frisch komponiert bereit und werden erstmals am Ewigkeitssonntag Ende November in Bütschwil erklingen. Am 29. Oktober beginnen die Proben mit dem Sing-mit Chor Bütschwil.
Roman Bislin-Wild: Es gibt bei mir eigentlich immer zwei neue Werke pro Jahr. Eines während der Sommerferienzeit, eines während der Herbstferienzeit. Im Moment komponiere ich für einen Anlass in England, da ich an einem Kompositionswettbewerb teilnehmen werde. Es wird eine a cappella-Messe und eine Magnificat-Vertonung, die ich einreichen möchte.
Esther Wild Bislin: Bereits 2015 nahmen wir an «cantars», dem Schweizerischen Kirchenklangfestival, teil. Auch 2021 werden meine Chöre wieder mitwirken und am 29. Mai um 16.00 Uhr in der Evang.-ref. Kreuzkirche in Wil die «Seligpreisungen» (Peter Spörri, Text/Roman Bislin-Wild, Musik) konzertant aufführen und um 23 Uhr mit «ab-end-gesang» zum Schlusspunkt einladen.
Konzertzyklus: Der Konzertzyklus bedankt sich herzlich für diesen Austausch und wünscht allen Beteiligten viel Vorfreude auf das Konzert!
v.l.n.r.: Esther Wild Bislin (Leitung), Roman Bislin-Wild (Komposition, Piano) und Monika Rösinger (Text)
Bild: 2019 © Konzertzyklus Uzwil